Zephira lebte am Rand der stillen Hügel, wo der Wind Geschichten trug und die Tage langsam gingen. Dort wuchs sie mit der Stille auf, lernte dem Flüstern der Blätter zu lauschen und Gedanken wie Samen in die Erde zu legen.
Liora hingegen war am Ufer eines wilden Bachs zuhause. Das Rauschen begleitete sie von klein auf, ungestüm, lebendig, voller Sprünge und Strudel. Ihre Welt war laut, farbig und in ständiger Bewegung – wie sie selbst.
An einem warmen Nachmittag führte ein Umweg Zephira zu einem kleinen, spiegelnden Weiher, den sie kaum kannte. Dort, zwischen Schilf und Seerosen, entdeckte sie einen Frosch. Er hatte sich in einem Fadengewirr aus Wasserpflanzen verfangen und kämpfte erschöpft, aber still.
Zephira kniete sich vorsichtig ans Ufer, ihre Hände zögerten – da hörte sie hinter sich Schritte auf dem weichen Boden. „Was machst du da?“, fragte eine Stimme, hell und neugierig. Liora stand da, barfuss, mit einem Lächeln wie Sonnenlicht.
Gemeinsam – vorsichtig, mit stiller Konzentration und lebendiger Entschlossenheit – befreiten sie das Tier. Der Frosch sprang davon, mit einem kleinen, nassen Platsch. Und für einen Moment war es, als hätten sie etwas viel Grösseres gerettet als nur ein Tier.

Von diesem Tag an trafen sie sich immer wieder am Weiher – anfangs zufällig, später absichtlich. Die Begegnungen wurden länger, die Gespräche tiefer. Es war, als hätte jede das gefunden, was sie selbst nicht war – und doch brauchte.
Zephira war wie der Morgendunst über dem Moos, gedankenversunken und feinfühlig. Liora dagegen sprühte vor Energie, lachte oft und laut und zog Menschen an wie das Licht die Nachtfalter. Doch je mehr Liora sich in der bunten Welt der Begegnungen verlor, desto leerer fühlte sie sich. Denn viele Stimmen bedeuteten nicht, dass sie gehört wurde.
Zephira hingegen blieb lieber im Schatten, in der Tiefe – dort, wo Gedanken wachsen konnten wie Wurzeln. Und genau dort trafen sie sich. Nicht in der Menge, sondern in der Stille. Nicht im lauten Jubel, sondern im aufrichtigen Blick.
„Du bist wie ein Baum“, sagte Liora eines Abends. „Still, aber voller Leben.“
Zephira lächelte nur. „Und du bist wie der Wind. Du bringst Bewegung in alles – und doch kommst du immer wieder zu mir zurück.“
In einer Welt voller Begegnungen lernten sie, dass es nicht darauf ankommt, viele Stimmen zu hören – sondern eine einzige zu verstehen. Und dass eine Hand, die dich hält, wertvoller ist als hundert, die dich nur berühren.
Als sie sich an diesem Abend trennten, zog ein leiser Nebel über den Weiher, und das Wasser kräuselte sich sacht – so, als würde es ihr Geheimnis behüten. Irgendwo in der Ferne quakte ein Frosch. Und beide wussten: Das nächste Treffen würde nicht lange auf sich warten lassen.
Denn manche Verbindungen wachsen nicht im Licht der Welt, sondern im Schatten der Tiefe – dort, wo echte Freundschaft wurzelt.