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Richard

Gestern Abend hatte ich – wie jeden Mittwoch – Chorprobe. Wir kommen ganz gut mit Mozart voran, langsam „nimmts Klang an“.

Nach der Probe gibt’s immer einen Apéro riche im Tournus-Verfahren und wir quatschen noch miteinander.

Richard ist 56 und wir mögen uns ganz gut. Er hat bei uns im 2017 angefangen und nach seinem 1. Konzert (Requiem von Mozart), nachdem das Publikum schon weg war, kam er auf mich zu, umarmte mich herzlich und meinte „Das war einfach so toll !“ Er war total begeistert von dieser Erfahrung und musste seine Freude einfach irgendwie kund tun. Ich fand das irgendwie sehr berührend.

Zurück zu gestern : nach der Probe und vor dem Apéro stapelt jeder seinen Stuhl. Ich wollte dies also grad tun und da stand Richard neben mir und meinte „lass, ich mach das“. Das war nicht das erste Mal, dass er das tat. Ausserdem arrangierte es mich zusätzlich, da ich immer noch – wenn auch etwas weniger – Rückenschmerzen und ein hexenschussmässiges Ziehen im Bein habe.
Ich bedankte mich bei ihm und erwähnte meine „kleinen“ Beschwerden. Da meinte er lachend „wirst du etwa alt ?“ Ich entgegnete, dass das sehr wohl der Fall sei, immerhin werde ich in 2 Jahren 50 😀 . – „Was soll ich denn sagen, in 2 Jahren werd ich 58. Und schau doch mal, wie ich aussehen, schon ganz graue Haare“. – „Na und ? Männer mit grauen Haaren haben etwas charmantes ;-)“ „Meinst Du ? Aber ich habe ja sonst nichts“ (er ist gelernter Ingenieur, ist aber schon über 2 Jahre arbeitslos und darbt mehr oder weniger dahin. Er hat einen 40% Sekretariats-Job gefunden, was ihm – nebst den Sozialleistungen die er empfängt – ein minimales Einkommen bring.) „Ja ok, aber das ändert ja nichts an der Tatsache, dass Männer mit grauen Haaren etwas anziehendes haben können.“ Darauf lächelte er verlegen und wir begaben uns in den Flur wo der Apéro statt fand. Wir haben dann noch ein wenig zusammen geplaudert und ein Stück Zitronen-Kuchen gegessen. Dann versabschiedete sich Richard.

Ich mag Richard – und er mich scheinbar auch – aber auch er ist (wieder mal) ein Typ Mann, der mir zu instabil ist… und in seinem Alter noch einen „guten“ Job zu finden, gestaltet sich eher schwierig.
Mit meinem Ex hatte ich lange genug einen Mann, der – trotz guter Ausbildung – nichts auf die Reihe kriegt(e), Pierre ist emotional instabil und Richard scheint zwar bodenständig zu sein, aber ist auf dem Sozialamt. Ich habe grundsätzlich nichts dagegen (war ja selbst jahrelang vom Soz abhängig), aber ich will niemanden mehr, der finanziell nicht ein Minimum von Sicherheit hat – es reicht, wenn ich es nicht habe…

Ja, meine Kriterien in Bezug auf Männer werden langsam von den rationalen Überlegungen übertrumpft…